Vernunftglaube
Elsa Sichrovsky
Als leicht zu beeindruckender Studienanfänger in meiner ersten Lesung über westliche Literatur, folgte ich meiner Lieblingsprofessorin, Frau Chang, wie sie die Geschichte Abrahams und Isaaks vorlas. Die Einzigartigkeit der Geschichte des 1. Buch Mose, tiefer Inhalt in die typisch nüchterne jüdische Erzählweise verpackt, wie die, in welcher Gott einem kinderlosen Ehepaar einen Sohn schenkt, dem Vater Jahre später befiehlt ihn zu töten und dann in dem Moment, in dem Abraham die Tat vollzieht, seine Meinung ändert, verwirrte meine Kommilitonen. Es war nicht das, was die meisten von uns sich vorstellen, wenn wir an das reizvolle Wort Mythologie dachten, aber genau das seien diese Geschichten, behauptete meine Professorin. Ein Mythos.
Sie blickte von dem gewichtigen Buch auf, lächelte ihren erstaunten Studenten zu und sagte: „Aus diesem Grund bin ich keine Christin. Der Gott der hebräischen Bibel ergibt für mich keinen Sinn. Glaube ist vernunftswidrig.“
„Und bitte“, fuhr sie fort: „falls es hier Christen in meiner Klasse gibt, versucht nicht mit mir zu diskutieren. Wir studieren Literatur, nicht Religion. Unterwürfig hielt ich meine Zunge im Zaum.
Ihrer Ansicht nach war der Glaube, der Eckstein meines Lebens von der Zeit an, als ich „Jesus liebt mich“ mit kindlicher Überzeugung singen konnte, eine lächerliche Vorstellung, zu abwegig, um für voll genommen zu werden. Glaube brachte dich in missliche Lagen mit einem fehlbaren und launischen Gott, der dich quälende Experimente zu seiner eigenen Befriedigung erleiden lässt.
Das war nicht das erste Mal, dass ich ähnliche Kommentare hörte. Von klein auf hatte ich mich wegen meiner regelmäßigen Erfahrungen in persönlicher Evangelisation daran gewöhnt, an die ungläubigen Blicke und Lachsalven derer, die ich davon überzeugen wollte, die Botschaft der Errettung anzunehmen. Als nun dieser von mir so bewunderte Mensch dasselbe aussprach, brachte es eine Menge Fragen ins Rollen: Warum fällt es so schwer, glauben zu begreifen? Wenn es so wichtig ist für unseren ewigen Bestimmungsplatz und unser gegenwärtiges Glück, warum sollte es dann so eigenartig, ja abstoßend sein? Warum hatte Gott die Bibel nicht weniger kryptisch und mehr den Selbsthilfe-Artikeln im Internet entsprechend gemacht, die jeden wichtigen Lebenswert auf drei hauptsächliche Punkte brachte, dazu klare Zusammenfassungen und Schlagworte?
Schlimmer noch, ihre Worte hallten unbequem wahr im Einklang mit meinen eigenen geistigen Erfahrungen. Wie oft schienen Gottes Wege grundlos an Leid und Kummer entlang zu führen? Manchmal wurde der Grund hinter der Ungewissheit deutlicher, doch viel zu oft ließ mich eine Geduldsprobe mit unbeantworteten Fragen zurück. Lohnte es sich, am Glauben festzuhalten, den viele für Unsinn hielten und der meinem Leben noch mehr Unsicherheit brachte?
Unvermittelt erinnerte ich mich zu meiner Überraschung an ein Zitat, das ich im Gymnasium in meinem Biologiebuch gelesen hatte:
„Wenn das Gehirn so einfach wäre, um von uns verstanden zu werden, wären wir so einfach, dass wir es nicht verständen.“ [Lyall Watson zugeschrieben.]
Das Gehirn blieb außerhalb unseres Verstehens, nicht, weil es ein verkorkstes Projekt war, unserer Beachtung nicht wert; es war einfach erstaunlicher, überraschend komplexer, als dass unser menschlicher Verstand dazu fähig wäre, es zu analysieren und zu rationalisieren. Die Tatsache, dass Menschen das Gehirn nicht erfassen konnten, lieferte Herrn Watson keinen Grund dafür, die Biologie aufzugeben und die Wissenschaft als Quatsch abzutun; im Gegenteil, diese ungelösten Rätsel des menschlichen Verstandes machten es für ihn umso faszinierender und es wert, sein Leben dem Lüften dieser Geheimnisse zu widmen.
Lyall Watsons ruhige Inkaufnahme der unlösbaren Komplexität des menschlichen Gehirns veranlasste mich, über die positive Seite des Vertrauens in einen Glauben nachdenken, den ich nicht immer zur Zufriedenheit eines Ungläubigen erklären kann. Abraham vermochte Gott zu vertrauen, Seine Verheißung zu erfüllen, seine Nachkommen zu vermehren, da er den Gott kannte und liebte, der hinter diesem hanebüchenen Befehl stand. Wenn ich Probleme in meiner Beziehung mit Gott habe und einfach nicht akzeptieren kann, wohin Er führt, ist das einzige, welches mir die Kraft schenkt, das von mir Verlangte zu befolgen, die Liebe, die uns – Gott und die Menschheit – zusammenhält. Liebe triumphiert, wo Vernunft und Logik nicht mehr ausreichen. Aus diesem Grund ist es nur recht, aus Liebe zu gehorchen, und somit ist es etwas Rationales.
Zudem, wenn ich eine Methode finden würde, mit der sich jedes Geschehen in der Bibel erklären ließe, und hinge beweisende Dokumente an jede einzelne der christlich-geistigen Ansprüche, gäbe es keinen Grund, sich auf Gottes Kraft zu verlassen und sich darum zu kümmern, ihn intimer kennenzulernen und Ihn in jeden Teil meines Lebens einzubeziehen. Ich hätte alle Antworten und keinen Platz für Gott.Ich habe mich keineswegs damit abgefunden, für immer im Dunkeln herumzutappen. Jesus hat die Antworten, darum bringen die Fragen mich auf jedem Schritt meines christlichen Lebens wieder zurück zu Jesus, ihn aufzusuchen und mit der Sehnsucht nach Seinem Geist. Jedes Mal wenn ich auf etwas stoße, wofür ich keine Antworten finde, werde ich an die meiner menschlichen Existenz angeborene Unvollkommenheit und mein Bedürfnis gerettet zu werden, erinnert.
Mir ist klar geworden, wie ich an meinem Glauben mit dem von Christus ermächtigten Vertrauen festhalten kann, denn die Schwierigkeit, Glauben zu besitzen, zeugt von seinem wahren Wert. Glaube ist überflüssig, wenn jeder Aspekt eines Wertesystems mechanisch, symmetrisch und mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden kann. Das wäre natürlich ein vernünftiges Wertsystem, doch wäre es beschränkt auf die Vernunftebene endlichen menschlichen Denkens. Das Christentum behauptet nicht, dem Gläubigen bündige Werte zu liefern und Doktrinen, die fein in vorgefasste Meinungen passen. Vielmehr liefert sie den Eingang zu einer Welt, die weit über das hinausgeht, was ich als vernünftig bezeichne. Um mit Theologe Peter Kreeft zu sprechen: „Nur in einer Welt, in der es schwer fällt zu glauben, kann Glaube existieren.“ Wenn der Glaube an Gott vereinfacht würde, um unsere fünf Sinne anzusprechen, könnte er uns nicht zu dem Einen führen, dessen Wege höher liegen als unsere. [Isaiah 55:8: Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so viel höher stehen meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken.]
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