Der junge Jesus

September 2, 2019

Peter Amsterdam

[The Young Jesus]

Die Evangelien erzählen uns von der Rückkehr Marias und Josefs aus Ägypten und wie sie sich in Nazareth niederließen, und von einem Vorfall im Tempel, als Jesus 12 Jahre alt war. Darüber hinaus sagen sie nichts mehr über das Leben Jesu zwischen Seiner Geburt und Seiner Taufe mit etwa 30 Jahren. Da Er in einem palästinensischen Dorf im ersten Jahrhundert aufgewachsen ist, können wir uns die verfügbaren historischen Informationen über das damalige Leben in Israel ansehen und daraus einige fundierte Schlussfolgerungen ziehen, wie Sein frühes Leben wahrscheinlich gewesen sein könnte.

Aus dem Matthäusevangelium erfahren wir, wie, als König Herodes starb, Josef im Traum ein Engel erschien, der ihn anweist, Maria und Jesus zurück nach Israel zu bringen. Als er zurückkehrte und erfuhr, dass Herodes' Sohn Archelaus über Judäa herrschte, bekam Joseph Angst, dorthin zu gehen, und als er in einem Traum gewarnt wurde, zog er sich in das Gebiet von Galiläa zurück und lebte in einer Stadt namens Nazareth.1

Das Gebiet Galiläa war der nördlichste Teil Israels, die am weitesten von Jerusalem entfernte Provinz. Mit ihrem fruchtbaren Boden, reichlich Regen und mildem Klima war sie eines der produktivsten landwirtschaftlichen Gebiete Israels. Sie wurde intensiv für den Export von Weizen und Oliven sowie für den Weinsektor genutzt. Der See von Genezareth, auch bekannt als der See von Galiläa, bot reichlich Fisch, der eine Trockenfischindustrie unterstützte

Nazareth, die Heimatstadt Jesu, war ein kleines Dorf. Jesus lebte höchstwahrscheinlich in Nazareth, bis Er ungefähr dreißig Jahre alt war. Sein Leben als Heranwachsender in Nazareth war wohl ähnlich wie das der anderen Kinder im Dorf.

Der Schrift nach hatte Jesus vier jüngere Brüder und mindestens zwei Schwestern. Seine Brüder – James, Joseph, Jude und Simon – trugen die Namen der jüdischen Patriarchen und deuteten auf eine im jüdischen Glauben verwurzelte Familie. Die Namen Seiner Schwestern werden in den Evangelien nicht erwähnt. Sein Vater, Joseph, gilt traditionell als Zimmermann, ein Holzverarbeiter.

Jesus wuchs in einem typisch jüdischen Elternhaus auf, womit, wie alle jüdischen männlichen Kinder, Seine religiöse Erziehung in den ersten Jahren von Seiner Mutter kommen würde. Als Er älter wurde, würde Sein Vater anfangen, Ihm die Thora beizubringen. Jesus würde mit den wöchentlichen Sabbatgebeten und -mahlzeiten sowie mit den Festen, Gebeten, Hymnen und Zeremonien des jüdischen Glaubens vertraut gemacht werden. Als Er erwachsen wurde, würde Er die Synagogengottesdienste besuchen und hören, wie die Schrift verlesen wurde. Er würde sich auch viel von der Schrift einprägen.

Es ist nicht bekannt, ob es in Nazareth eine Synagogenschule gab, in der Jesus eine Art formelle Unterweisung erhalten hätte. Die Evangelien machen jedoch deutlich, dass Jesus ein gelehrter Mensch war. Es ist klar, Er konnte lesen, da Er die Schrift in der Synagoge in Nazareth las. 2Er führte auch Debatten mit intellektuellen Führern, hieß „Rabbi“ (ein Titel, der zu Jesu Zeiten verwendet wurde, um Gelehrte und Lehrer der Thora zu beschreiben) und „Lehrer“ und lehrte in Synagogen.

Als Jesus alt genug war, lernte Er das Handwerk Seines Vaters und arbeitete wahrscheinlich mit Seinem Vater Joseph bis zu dessen Tod zusammen. Es wird angedeutet, dass Josef starb, bevor Jesus Seinen Dienst begann, denn wann immer von der Familie Jesu die Rede ist, werden Seine Mutter (und manchmal Seine Geschwister) erwähnt, aber nie Sein Vater. Wenn dies der Fall ist, dann wäre Jesus als erstgeborener Sohn der Haushaltsvorstand geworden und hätte die Verantwortung für die Unterstützung der Familie übernommen.

Aus einer frommen jüdischen Familie stammend, würde Jesus das mosaische Gesetz einhalten, zu den verschiedenen jährlichen Festen nach Jerusalem gehen und im Tempel anbeten, die Synagoge besuchen, die rituellen Gebete beten und all das tun, was Seine Zeitgenossen zu dieser Zeit taten. Sein Leben vor dem Ministerium wäre typisch für ein durchschnittliches Leben eines Menschen in Nazareth gewesen. Während Er sich höchstwahrscheinlich in Seinem Verständnis der Schrift hervorgetan hat, scheinen Seine Kindheit, Jugend und frühes Erwachsensein vor Beginn Seines Dienstes für einen palästinensischen Juden des ersten Jahrhunderts zum größten Teil normal gewesen zu sein.

Seine Jahre, die Er in Galiläa aufwuchs und die Ereignisse um sich herum beobachtete, wie Er sah, wie Hirten ihre Herden hüteten und nach verlorenen Schafen suchten, wie Er Hochzeitsfeste besuchte, wie Er Tagelöhner auf Arbeit warten sah, haben Alltagserfahrungen gebracht, die Er später in Seiner Lehre und Predigt nutzen würde. Seine Jahre des Heranwachsens, Lebens, Arbeitens und Erfahrens des Lebens in einem galiläischen Dorf müssten Ihn auf Seine Zeit des Dienens und andere Lehren vorbereitet haben. 

Es ist möglich, dass Jesus die drei Hauptsprachen sprach, die im ersten Jahrhundert in Palästina gebräuchlich waren – Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Das Aramäische war die am weitesten verbreitete Sprache unter Juden aller Klassen in Galiläa und Judäa und höchstwahrscheinlich die Alltagssprache, die Jesus sprach.

Man kann nur auf Tatsachen beruhende Vermutungen anstellen über die Sprachen, die Jesus sprach, die Ausbildung, die Er hatte, und die genaue Art der Arbeit, die Er geleistet hat. Die Evangelien erzählen uns nur von einem Vorfall im Leben Jesu von Seiner Geburt bis zu Seiner Taufe. Luke berichtet uns: 

Jedes Jahr zum Passahfest zogen seine Eltern nach Jerusalem hinauf. Als Jesus zwölf Jahre alt war, nahmen sie auch wieder am Fest teil. Nach den Feierlichkeiten machten sie sich auf den Heimweg nach Nazareth, doch Jesus blieb in Jerusalem zurück. Zuerst vermissten seine Eltern ihn nicht, weil sie annahmen, dass er sich bei Freunden unter den anderen Reisenden befand. Doch als er am Abend immer noch nicht erschien, begannen sie, bei ihren Verwandten und Freunden nach ihm zu fragen.

Da sie ihn nirgends finden konnten, kehrten sie nach Jerusalem zurück, um dort nach ihm zu suchen. Nach drei Tagen endlich entdeckten sie ihn. Er saß ihm Tempel inmitten der Lehrer, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, staunten über sein Verständnis und seine klugen Antworten. Seine Eltern wussten nicht, was sie davon halten sollten. „Kind!“, sagte seine Mutter zu ihm. „Wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich waren in schrecklicher Sorge. Wir haben dich überall gesucht.“ „Warum habt ihr mich gesucht?", fragte er. „Ihr hättet doch wissen müssen, dass ich im Haus meines Vaters bin.“ Doch sie verstanden nicht, was er damit meinte. Daraufhin kehrte er mit ihnen nach Nazareth zurück und war ihnen ein gehorsamer Sohn. Seine Mutter bewahrte all diese Dinge in ihrem Herzen. So wuchs Jesus heran und gewann an Weisheit. Gott liebte ihn, und alle, die ihn kannten, schätzten ihn sehr. 4

Das Passahfest wurde am Abend gefeiert und verlangte daher von den Reisenden nach Jerusalem, mindestens eine Nacht zu bleiben. Dann begann das siebentägige Fest des ungesäuerten Brotes am nächsten Tag; daher ist es wahrscheinlich, dass die Familie Jesu nach der 130 Kilometer langen, drei- oder viertägigen Reise von Galiläa nach Jerusalem für das zweite Fest und für die vollen acht Tage in Jerusalem geblieben wäre.

Es war eine lange Reise von Nazareth nach Jerusalem, und die Besucher reisten in der Regel aus Sicherheitsgründen in Gruppen. In diesem Fall reisten Josef und Maria wahrscheinlich mit Nachbarn und Verwandten und merkten nicht, dass Jesus nicht mit der Gruppe zusammen war, mit der sie bis zum Ende des Tages, etwas 30 km später, unterwegs waren. Nach ihrer Rückkehr nach Jerusalem fanden sie Ihn im Tempel, wie Er den religiösen Lehrern, die über das Verständnis Jesu erstaunt waren, zuhörte und sie befragte. Das griechische Wort für das Verständnis betont Seine Erkenntnis und nicht nur das Wissen. Ihr Staunen über Jesu Verständnis und Antworten war ein Vorgeschmack auf die Reaktion der Menschen auf das Wirken Jesu in den kommenden Jahren.

Diese Geschichte gibt einen Einblick in die Weisheit Jesu in Seinen jungen Jahren. Das zentrale Thema der Geschichte ist jedoch der Bezug Jesu zu Gott als Seinem Vater. Maria fragt Jesus, wie Er sie so hätte behandeln können, denn sie und Josef hatten „nach ihm gesucht und waren in großer Sorge“. Jesus antwortet mit: Warum hast du nach mir gesucht? Wusstest du nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?Einige Übersetzungen beschreiben dies als Geschäft meines Vaters. In beiden Fällen betont Jesus, dass Er dazu bestimmt ist, im Dienst Seines Vaters zu stehen. Während Maria von „deinem Vater und mir“ sprach, betont Jesus, dass ein anderer Vater Vorrang vor Ihm hat. Seine Aussage, dass Er im Haus Seines Vaters sein muss, zeigt ein Gefühl der Verpflichtung, wie es in Aussagen zum Ausdruck kommt, die Er während Seines Dienstes macht, wenn Er von der Rolle spricht, die der Vater Ihm gegeben hat.

Ich muss die Botschaft vom Reich Gottes auch an anderen Orten verkünden, denn dazu bin ich gesandt worden. Denn der Menschensohn muss viel Schlimmes erleiden. Er wird von den führenden Männern des jüdischen Volkes, den obersten Priestern und den Schriftgelehrten verurteilt werden. Sie werden ihn töten, doch drei Tage später wird er von den Toten auferstehen.5

Während Seine Eltern nicht verstanden, was Jesus meinte, als Er sagte, dass Er im Haus Seines Vaters sein müsse, würde Seine Mutter, die lebte, um Seinen Dienst zu sehen, höchstwahrscheinlich viele Jahre später verstehen, was Jesus meinte. Seine Mutter bewahrte im Moment all diese Dinge in ihrem Herzen.Jesus kehrte gehorsam mit Seinen Eltern nach Hause zurück, und uns wird gesagt, Gott liebte ihn, und alle, die ihn kannten, schätzten ihn sehr. 6

 

Ursprünglich veröffentlicht im Januar 2015. In Auszügen neu veröffentlicht im September 2019.

 


  1. Matthäus 2,22-23.
  2. Lukas 4,16-21.
  3. Lukas 2,46-47.
  4. Lukas 2,41-52.
  5. Lukas 4,43; Lukas 9,22.
  6. Lukas 2,51-52.

 

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