Fast nichts oder alles?

September 8, 2016

Maria Fontaine

[Hardly Anything or Everything?]

Mutter Teresa sagte einmal: „Freundliche Worte können kurz und leicht über die Lippen kommen, aber ihr Widerhall breitet sich unendlich weit aus.“ Wie wahr! Ein paar unscheinbare Worte aus dem Mund unauffälliger Menschen, dennoch erfüllt vom Geist Gottes und mit Liebe, können ein ganzes Leben lang in den Angesprochenen sichtlich und einflussreich nachwirken.

In recht vielen Situationen können wir, wenn wir darüber nachdenken, einfache, nette Worte äußern, die zusammengenommen nicht unwesentlich auf Andere einwirken können. Es lohnt sich, etwas vorauszudenken.

Was könntest du in möglichen Situationen sagen, in die du bestimmt einmal gerätst, etwa wie diesen: Einem Freund, dem es momentan schlecht geht? Einem Kind? Deinem Chef? Einem Lehrer? Jemandem, mit einem strahlenden Lächeln? Einer alten begnadeten Seniorin? Der Nachtwache? Dem Gärtner? Dem Straßenreiniger? Dem Verkäufer im Laden?

Ein paar wenige, bedachte Worte vermögen viel auszurichten.

Hier ist ein Beispiel:

 

Einer bei einer größen Fluggesellschaft angestellten Frau fiel hin und wieder ein etwa halb so alter junger Mann in der Halle und in der Lounge auf. Ungepflegt sein Äußeres und ständig umgeben von Zigarettengeruch. Als sie eines Tages eine Pause machte, sah sie ihn neben der Tür stehen.

„Warum rauchen Sie?“, ihr Ton weniger streng als neugierig.

„Eine Angewohnheit noch vom Gymnasium.“

„Gymnasium? Wie alt sind Sie?“

„Neunzehn.“

„Dann rauchen Sie erst ein paar Jahre. Sie sollten aufhören, oder?“

„Meinen Sie?“

Sie nickte. Damit endete ihre Unterhaltung. Gelegentlich stieß sie noch auf ihn in den nächsten paar Monaten, bei welcher Gelegenheit sie nachfragte, ob er schon weiter damit gekommen wäre, seine schlechte Angewohnheit aufzugeben, und ließ ihn ihre Sorge um ihn wissen. Jede Unterhaltung endete sie mit den Worten „Ich mach mir Gedanken um Sie.“ Eines Tages sprach sie ihn wieder an, wie es ihm ginge.

Seine Antwort: „Nun, gestern war ein anstrengender Tag für mich. Ich habe eine geraucht – aber nur eine.“

„Nur eine? Wollen Sie sagen, Sie haben da Rauchen aufgegeben?“

„Seit einigen Wochen rauche ich schon nicht mehr. Danke fürs Zuhören und ihre Besorgnis!“

Des jungen Mannes ganze Einstellung hatte sich gewandelt, weil jemand sich um ihn Gedanken machte. [1]

 

Noch eine weitere Geschichte, gehört vor Jahren, über eine Ehe kurz vor dem Zerbrechen, beeindruckte mich zutiefst.

 

Der Mann hatte seine Arbeit verloren, wurde launisch, sarkastisch und gemein. Seine Frau stand nicht hinter ihm, wie sie eigentlich hätte stehen sollen, völlig blind dafür, wie verheerend der Verlust der Arbeit das Selbstbewusstsein eines Mannes treffen konnte, geschweige denn für den immensen Druck finanzieller Verantwortung für ihre Familien, der auf den meisten Männern lastet. Beide waren voller Frustration, Groll und am Ende mit den Nerven, und so schien eine Scheidung unvermeidlich. Er begann zu trinken, kam spät nach Hause und verschwendete das wenige ihnen verbleibende Geld.

An jenem Abend, als sie schon damit rechnete, ihn durch das Zimmer auf dem Weg zur Eckkneipe stürmen zu sehen, saß sie wütend am Küchentisch. Gleichwohl vernahm sie eine kleine Stimme in ihrem Innern, die sie drängte, ihm zu sagen, sie liebe ihn immer noch. Sie liebte ihn, aber nicht die Situation, in der sie steckten, und nicht der sie begleitende Kummer.  Es fiel ihr ungeheuerlich schwer diese Worte über ihre Lippen kommen zu lassen und schon war er fast aus der Tür, als sie „Ich liebe dich immer noch!“ hervorpresste.

Mit einem Ruck stand er still, drehte sich um, kam zu ihr zurück, kniete sich vor ihr nieder und fragte abgehackt: „Wirklich?“

Tränen strömten über sein Gesicht und auch sie weinte, als sie sich in den Armen lagen, sich ihrer Liebe versicherten und sich gegenseitig vergaben.

Diese fünf Worte heilten ihre Ehe und  ...  retteten ihren Mann. War er doch schon auf dem Weg gewesen, sein Leben zu enden.

 

Und hier ist noch eine weitere Bestätigung eines Mannes Namens Richard North, wie eine kurze Bemerkung eine ungeheuerliche Veränderung in jemandes Leben bewirken kann und genau genommen im Leben vieler anderer.

 

Im Alter von Fünfunddreizig unterrichtete ich in einer Schule und hielt das Lehramt schon fast 10 jahre lang inne. Doch hier saß ich nun, grübelte darüber nach, aufzuhören und einen neuen Beruf zu finden. Mein anfängliches idealistisches Feuer der Begeisterung stand kurz vor dem Erlöschen, und ich fragte mich immer öfter, warum ich je überhaupt das Lehramt gewählt hatte. Ich war der Meinung, diesem Beruf mein ganzes Bemühen gewidmet zu haben, doch nun schien er es nicht wert gewesen zu sein: die Kinder waren streitsüchtig und gedankenlos, die Eltern zu oft verärgert und irritiert. Meine Lehrerjahre kamen mir wie vergeudete Zeit vor. Ob jemand wohl all das, was es mich gekostet hatte, zu schätzen wusste, fragte ich mich. Zehn Jahre meines Lebens hatte ich dafür eingesetzt und jetzt schien alles umsonst zu sein.

Meine Verwandlung geschah durch einen assistierenden Lehrer, der in mein Klassenzimmer kam, um auszuhelfen und praktische Erfahrung zu sammeln. Er begleitete mich in meinem Klassenzimmer erst wenige Tage, als ich den Speiseraum der Lehrer zur Mittagspause betrat, da hörte ich, wie er mit einigen anderen Assistenten sprach.

„Es erstaunt mich wirklich, mit welcher Liebe Herr North mit den Kindern umgeht. Er benimmt sich wirklich nett mit ihnen, nimmt sich Zeit, ihnen zuzuhören und ihnen Mut zu machen, egal auf welchem Leistungsniveau sie sich befinden. Was hätte ich darum gegeben, solch einen Lehrer zu haben, als ich in ihrem Alter war.“

Diesen Kommentar zu hören hinterließ einen außerordentlichen Eindruck in meiner müden Seele. Es half mir, mich daran zu erinnern, warum ich mein Leben der Lehrerlaufbahn verschrieben hatte. Ich begann, meinen Beruf von einer anderen Seite zu betrachten und meinen Traum zurückzugewinnen. Sobald sich meine Arbeitsauffassung verwandelte, änderte sich auch das Verhalten meiner Schüler. Bis dann die Sommerferien kamen, war ich ein anderer Mensch. Diese zufällig aufgeschnappten wenigen Worte der Anerkennung hatten meinem Leben eine neue Richtung gewiesen. Jetzt hatte ich einen Ruf zu vertreten, und mein neuentdeckter Sinn und Traum motivierten viele, nach Höherem zu streben. [2]

 

Was für mich im Vordergrund steht, sind die Worte, die wir äußern – die nüchtern, nicht außergewöhnlich, mager und unbedeutend und oft auch komisch – tatsächlich unschätzbar und mit weitreichenden Folgen für denjenigen sein können, an den wir sie richten oder über den wir reden. Was uns kaum der Rede wert scheinen mag, kann einer sterbenden Seele Nahrung bedeuten oder Wasser einem Verdurstenden. Was uns fast nichts kostet und unbedeutend im großen Gefüge der Welt erscheinen mag, mag für jemanden anderen das Leben bedeuten.

 

Ursprünglich erschienen im September 2012. Überarbeitet und neu herausgegeben im September 2016.


  1. Auszug aus The Esther Effect von Dianna Booher (Nashville: Thomas Nelson, 2001).
  2. Richard North.

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