Von vorne anfangen

Mai 1, 2013

Von Clair

Mein Mann und ich zogen im letzten Jahr nach Kanada, in meine Heimat so zu sagen, auch wenn es 30 Jahre her gewesen war, seit ich hier wohnte. In diesen Jahren hatte ich die amerikanischen Doppelkontinente bereist und in ihnen gelebt, ohne einen einzigen Gedanken, jemals wieder an meinem Geburtsort für länger zu leben.

Der Wiedereinbürgerungsprozess war recht schwierig und so etwas wie ein Kulturschock, obgleich ich ziemlich bald Gefallen daran fand, in einem Land zu leben, das für Abwechslung offen ist und Einwanderer aus aller Welt willkommen heißt. Damit wird eine rassische und ethnische Mixtur geschaffen, die Toleranz ausstrahlt und Geduld den vielen Menschen beibringt, die ihren Weg suchen, eine neue Sprache lernen und sich einer neuen Kultur anpassen. Es führte mir vor Augen, wie der Planet voller Menschen ist, die ihr Leben neugestalten, nach einem neuen Zuhause suchen, neue Sprachen und Berufe lernen und von vorne anfangen. Ein modernes Phänomen und dennoch hat Gott die Menschheit mit der Anpassungsfähigkeit geschaffen, wieder neu anzufangen.

Während ich zu einigen ärztlichen Untersuchungen ging, kam ich ins Gespräch mit einer Radiologin, einer angenehmen freundlichen Dame, deren geduldiger Blick der Langmut tief in ihr Gesicht geschrieben stand. Ihre Geschichte war aufschlussreich. In Russland geboren, wurde sie in der kommunistischen Ära Kinderärztin. Nach dem Zerfall des Kommunismus wanderte sie nach Israel aus, wo sie entdeckte, all ihr medizinisches Training wiederholen zu müssen, falls sie in Israel praktizieren wollte. Mit dem Gefühl, zur Kinderärztin berufen sein, wiederholte sie acht mühsame Jahre medizinischer Ausbildung und nahm dann wieder ihren Beruf auf. Aber das Leben für sie und ihre Familie in Israel gestaltete sich nicht so gut, und sie fühlten sich gedrängt, nach Kanada einzuwandern. Wieder einmal stellte sie fest, acht Jahre medizinische Ausbildung noch einmal durchmachen zu müssen, falls sie praktizieren wollte.  Doch an diesem Punkt gab sie ihre ärztliche Tätigkeit auf und wurde Radiologin, da sie der Ansicht war, jetzt, da sie selbst Kinder hatte, wäre es ihr unmöglich diese Ausbildung zu wiederholen.

Ihr Erzählen ihrer Lebensgeschichte geschah mit Freude und ohne Klagen. Sie hatte alle ihre Möglichkeiten in Erwägung gezogen, ihre Pläne neu ausgerichtet und von vorne angefangen. Ich bin sicher, dieser Frohsinn und diese Geduld waren schwer verdient, und ich drückte ihr meine Bewunderung aus, was ihr wiederum ein Lächeln entlockte.

Bestimmt ist es keine beneidenswerte Position, mitten im Leben wieder von vorne anzufangen. Doch heutzutage sehen sich viele Menschen damit konfrontiert. Scheinbar gibt es wenige Berufswege, Karrieren oder Jobs, die mit „Lebenslanger Beschäftigungsgarantie“ gekennzeichnet sind. Und die Realität der heutigen Welt besteht aus Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit. Dankbarerweise sind das Qualitäten, die wir als Christen zu vervollkommnen gelehrt worden sind. Das zeigt es mir in den folgenden Versen deutlich:

Alles hat seine Zeit,

alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist:

Geboren werden hat seine Zeit, wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit, wie auch das Ausreißen des Gepflanzten.

Töten hat seine Zeit, wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit, wie auch das Aufbauen.

Weinen hat seine Zeit, wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit, wie auch das Tanzen.

Steine zerstreuen hat seine Zeit, wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit, wie auch das Loslassen.

Suchen hat seine Zeit, wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit, wie auch das Wegwerfen.

Zerreißen hat seine Zeit, wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit, wie auch das Reden.

Gott hat allem auf dieser Welt schon im Voraus seine Zeit bestimmt, er hat sogar die Ewigkeit in die Herzen der Menschen gelegt. Aber sie sind nicht in der Lage, das Ausmaß des Wirkens Gottes zu erkennen; sie durchschauen weder, wo es beginnt, noch, wo es endet. Gott handelt so, damit die Menschen Ehrfurcht vor ihm haben. 1

Die Bibel ist voller Geschichten von Leuten, die ihre Karriere gewechselt haben, ihre Heimat veränderten oder ihre Richtung,  wie Gott sie führte, sei es durch Sein direktes Wort oder durch die Umstände. Von Neuem anzufangen, ist in der Tat etwas so Normales in der Bibel, dass es schwierig ist, an irgendwelche ihrer Haupt-Protagonisten zu denken, die nicht von vorne anfangen mussten. Das geht mit Abraham los über Isaak, Josef, Moses, Esther, Rut, Daniel, die Jünger, Paulus und weit mehr auf einer langen Liste.

Dass ich in einem Gebiet lebe, in denen so viele Menschen Immigranten der ersten Generation sind, hat mir die Tatsache vor Augen geführt, von vorne anzufangen, ist ein Bestandteil des Lebens, mit dem viele Menschen heutzutage zu tun haben, wo das Kräftespiel sich um sie herum verschiebt, Völkergruppen migrieren und bereisen den Globus, auf der Suche nach besseren Möglichkeiten und einem besseren Leben. Sie haben sich entschlossen, Fremdlinge zu sein, Wanderer, um ihre Familien und Kinder mit einem besseren Leben zu versorgen. Mit unbeschreiblichem Mut wagen sie einen Schritt hinaus, oft ohne große finanzielle Mittel, und lassen ihre Familien, Karrieren und Referenzen zurück. Sie malen sich immer noch eine Zukunft aus, die besser ist, die das Risiko und die Herausforderung wert ist.

Dankbarerweise handeln wir als Christen so, „weil [wir] auf eine Stadt mit festem Fundament warteten, deren Bauherr und Schöpfer Gott selbst ist“, 2 denn „jetzt haben wir eine lebendige Hoffnung, … ein unvergängliches Erbe, das rein und unversehrt im Himmel für [uns] aufbewahrt wird.“

„Freut euch deshalb von Herzen!“, können wir jetzt aufgrund dieser guten Nachricht sagen, „Vor [uns] liegt eine große Freude, auch wenn [wir] für eine Weile viel erdulden [müssen]. Dies dient nur dazu, [unseren] Glauben zu prüfen, damit sich zeigt, ob er wirklich stark und rein ist.“ 3

Von Neuem anzufangen ist immer noch beachtlich bedrohlich, und von Zeit zu Zeit scheinen die Herausforderungen überwältigend zu sein. Aber wenn man sich umschaut und den Mut anderer sieht, die über Land und Wasser gezogen sind auf der Suche nach günstigeren Umständen in dieser Welt, hat es als Vertrauensstärker fungiert, dass Gott uns niemals in eine Position versetzt, in der wir nicht wachsen und uns ausbreiten können und „Wir wollen den Wettlauf bis zum Ende durchhalten, für den wir bestimmt sind. Dies tun wir, indem wir unsere Augen auf Jesus gerichtet halten, von dem unser Glaube vom Anfang bis zum Ende abhängt.“ 4

Im Vertrauen hat Noah eine Arche gebaut, um seine Familie vor der Flut zu bewahren. Er gehorchte Gott, der ihn vor etwas warnte, [und darin liegt der Schlüssel] das niemals zuvor geschehen war. Etwas noch nie Dagewesenes, das ist, wohin der Glaube uns trägt. Jeder von uns erwartet von Gott etwas Neues zu machen, während wir immer mit demselben weitermachen. Doch so funktioniert das nicht. Wenn du sehen möchtest, wie Gott neuartig handelt, wenn du einem Traum hinterherjagen willst, dann musst du etwas anderes unternehmen, vielleicht etwas noch nie Dagewesenes. Und meiner Meinung nach hat Noah uns ein wunderbares Beispiel gesetzt. – Mark Batterson 5


1 Prediger 3:1–7, 11, 14.

2 Hebräer 11:10.

3 1. Petrus 1:3–4, 6–7.

4 Hebräer 12:1–2.

5 „Langer Gehorsam“ ("Long Obedience,” eine Rede gehalten vor der National Community Church, 20. Januar 2013.

Copyright © 2024 The Family International