Der Pharisäer und der Steuereintreiber

Oktober 4, 2024

Peter Amsterdam

[The Pharisee and the Tax Collector]

Das Gleichnis vom Pharisäer und dem Steuereintreiber oder Zöllner wird nur im Lukasevangelium in Kapitel 18 wiedergegeben. In diesem Gleichnis wird unter anderem durch die Vergleiche zwischen den beiden Charakteren das Grundelement der Erlösung angesprochen. Wir beginnen mit einem Blick auf die beiden Personen in der Geschichte.

Der Pharisäer: Pharisäer waren Mitglieder der jüdischen Gesellschaft, die sehr streng daran glaubten, sowohl die Gesetze des Mose als auch die „von den Vätern überlieferten“ Traditionen zu befolgen. Diese Traditionen waren nicht Teil der mosaischen Gesetze, aber die Pharisäer stellten sie auf die gleiche Stufe wie das Gesetz. Der Name Pharisäer bedeutet „abgesondert“ oder „abgesonderter Mensch“.

Die Pharisäer waren bestrebt, das Gesetz des Mose zu befolgen, insbesondere die Gesetze, die mit dem Zehnten und der Reinheit zu tun hatten. Viele Juden hielten sich nicht an die Reinheitsgebote in Bezug auf Essen, Essenszubereitung und Händewaschen, deshalb achteten die Pharisäer darauf, mit wem sie aßen, um nicht rituell unrein zu werden. Einige von ihnen kritisierten Jesus, weil er mit Sündern aß, und sie sahen auf seine Jünger herab, weil sie mit ungewaschenen Händen aßen (Markus 7,5). Auch kritisierten sie Jesus mehr als einmal, weil er die Sabbatgesetze verletzte (Lukas 13,14; Johannes 5,16).

Die Pharisäer waren dafür bekannt, in religiösen Angelegenheiten über das normale Maß hinauszuschießen. Das geschriebene Gesetz verlangte nur einmal im Jahr ein Fasten am Versöhnungstag, doch einige Pharisäer fasteten zweimal in der Woche in einem selbst auferlegten Akt der Frömmigkeit. Sie gaben von allem, was sie erwarben, den Zehnten ab, was ebenfalls über das hinausging, was das Gesetz verlangte.

Die meisten Juden hielten sich nicht so streng an das mosaische Gesetz wie die Pharisäer; deshalb hielten die Juden zur Zeit Jesu die Pharisäer für sehr gerecht und fromm.

Der Steuereintreiber oder Zöllner: Die Römer, die zur Zeit Jesu über Israel herrschten, verlangten drei Arten von Steuern: die Grundsteuer, die Kopfsteuer und das Zollsystem. Die Steuern dienten dazu, Tribut an Rom zu zahlen, das Israel im Jahr 63 v. Chr. erobert hatte.

Der Zöllner in diesem Gleichnis war sehr wahrscheinlich mit dem Zollsystem der Römer verbunden. Im gesamten Römischen Reich gab es ein System von Mautgebühren und Zöllen, die in Häfen, Steuerämtern und an den Stadttoren erhoben wurden. Die Gebühren betrugen zwischen zwei und fünf Prozent des Wertes der Waren, die von Stadt zu Stadt transportiert wurden. Der Wert der Waren wurde vom Steuereinnehmer bestimmt. Obwohl es ein gewisses Maß an Kontrolle gab, bewerteten die Steuereintreiber die Waren oft viel höher als sie tatsächlich wert waren, um einen Gewinn zu erzielen. Die Steuerpflichtigen betrachteten dies als institutionellen Raub.1

Als einige Zöllner zu Johannes dem Täufer kamen, um sich taufen zu lassen, fragten sie ihn, was sie tun sollten, und er antwortete: „treibt nicht mehr Steuern ein, als die römische Regierung euch vorschreibt.“ –Lukas 3,13 – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie zu ihrem eigenen Vorteil zu viel verlangten.

Zöllner galten als Wucherer und Ungerechte und wurden als religiös unrein angesehen, und ihre Häuser und jedes Haus, das sie betraten, galten daher als unrein. Die verhassten Zöllner wurden mit Sündern und Prostituierten gleichgesetzt (Matthäus 21,32) und von den anständigen Leuten gemieden.

Der Zöllner im Gleichnis ist sicherlich kein aufrechter Charakter; er ist ein Schurke und er weiß es, wie sein Verhalten im Tempel und seinem Gebet zu entnehmen ist.

Das Gleichnis: Das Gleichnis beginnt mit den Worten: „Dann wandte sich Jesus einigen Leuten zu, die voller Selbstvertrauen meinten, in Gottes Augen gerecht zu sein, und deshalb für die anderen nur Verachtung übrig hatten:“ – Lukas 18,9

Lukas erklärt in der Einleitung, dass es in dem Gleichnis um diejenigen geht, die meinen, sie könnten durch ihre eigenen Verdienste Rechtschaffenheit erlangen. Jesus wendet sich mit diesem Gleichnis an diejenigen, die auf sich selbst vertrauen, die sich für gerecht halten und andere für minderwertig und unwürdig halten.

Das Gleichnis geht weiter: „Zwei Männer gingen in den Tempel, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Steuereintreiber. Die Luther Bibel übersetzt es mit „zwei Menschen gingen hinauf“ und später im Gleichnis „gingen hinab“ was sich auf die Höhe des Tempelbergs bezieht, der höchste Punkt der Stadt.

Es war üblich, zweimal am Tag zu beten, einmal morgens und einmal nachmittags, da zu dieser Zeit im Tempel die beiden täglichen Sühneopfer dargebracht wurden. Die ursprünglichen Zuhörer nahmen wohl an, dass der Pharisäer und der Steuereintreiber zum Tempel gingen, um an einem der täglichen Sühneopfer teilzunehmen und zu beten.

„Der stolze Pharisäer stand da und betete: ‚Ich danke dir, Gott, dass ich kein Sünder bin wie die anderen Menschen, wie die Räuber und die Ungerechten, die Ehebrecher oder besonders wie dieser Steuereintreiber da! Denn ich betrüge niemanden, ich begehe keinen Ehebruch, ich faste zweimal in der Woche und gebe dir regelmäßig den zehnten Teil von meinem Einkommen.

Der Pharisäer stand beim Beten für sich allein; er sonderte sich von den anderen Gläubigen ab. Wenn seine Kleider die eines Unreinen berührten, würde er selbst unrein werden. Und als jemand, der peinlich genau darauf achtete, rein und heilig zu sein, ging das einfach nicht anders. Er stand beim Beten und hob seine Augen nach oben, was beides im jüdischen Gebet üblich war.

Es war auch üblich, laut zu beten, so dass die Wahrscheinlichkeit groß war, dass andere sein Gebet hören konnten. Es mag sein, dass er sein Gebet als ein „Predigt“-Gebet verstand; du weißt schon, die Art, in der eine Person in einer Weise betet, die darauf abzielt, anderen eine Predigt zu halten, anstatt sich wirklich an den Herrn zu wenden.

Er bekennt keine Sünde, er dankt Gott nicht für seine Segnungen, und er bittet weder um etwas für sich noch um etwas für andere. Es scheint, als wolle er andere darauf hinweisen, wie schlecht sie sind und zeigt Verachtung für sie, während er seine eigene Rechtschaffenheit und seinen Gehorsam gegenüber dem Gesetz propagiert. Er vergleicht sich mit anderen und weist darauf hin, wie religiös gewissenhaft er im Vergleich zu ihnen ist.

Er fastet zweimal in der Woche, d. h. er fastet 104 Mal im Jahr, während das Gesetz nur ein Mal im Jahr verlangt. Und obwohl das Gesetz davon sprach, den Zehnten von dem zu geben, was in der Erde wächst, und den Zehnten von den Tieren zu geben, die gehalten werden, gibt er den Zehnten von allem, was er erwirbt. Er tut dies nur für den Fall, dass die Person, die ihm den Gegenstand verkauft hat, nicht den Zehnten gegeben hat, wie sie es hätte tun sollen.

Der Pharisäer ist in dem Sinn kein Heuchler; er unterlässt zweifellos tatsächlich die Sünden, die er aufzählt, und er fastet und gibt den Zehnten mehr als vorgeschrieben. Aber er ist total selbstzufrieden. Er sieht auf andere herab, die das Gesetz nicht so halten wie er und er dankt Gott, dass er „nicht wie sie ist“, was ihn selbstgerecht macht. Er hält sich selbst für den Inbegriff der Rechtschaffenheit, und die ursprünglichen Zuhörer des Gleichnisses sahen ihn auch gewöhnlich so.

Das Verhalten und das Gebet des Zöllners sind völlig anders: „Der Steuereintreiber dagegen blieb in einigem Abstand stehen und wagte nicht einmal den Blick zu heben, während er betete: ‚O Gott, sei mir gnädig, denn ich bin ein Sünder.‘“

Der Zöllner hält sich aus dem entgegengesetzten Grund fern von anderen – weil er ein Sünder ist und das weiß. Er hebt deshalb, weil er sich unwürdig fühlt, auch nicht seine Augen zum Himmel. Er erpresst Geld von anderen, indem er ihnen zu viel berechnet. Er ist ein Betrüger. Er hat nicht das Gefühl, dass er es verdient, bei Gottes Volk zu stehen, oder dass er würdig ist, mit Gott zu sprechen. Er steht abseits, schlägt sich an die Brust und betet: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“

Das griechische Wort, das in diesem Vers für „gnädig“ verwendet wird, bedeutet, „Sühne leisten“. Der Zöllner bittet um Versöhnung oder Sühne für seine Sünden. Er bittet nicht um allgemeine Barmherzigkeit, sondern um Sühne, um die Vergebung seiner Sünden.

Der Autor Kenneth Bailey beschreibt die Situation des Steuereintreibers sehr schön. Er schreibt:

Man kann den scharfen Weihrauch fast riechen, das laute Klirren der Zimbeln hören und die große Wolke dichten Rauchs sehen, die vom Brandopfer aufsteigt. Der Zöllner ist dabei. Er steht weit weg, darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, und spürt, dass er nicht würdig ist, bei den Teilnehmern zu stehen. In seiner inneren Gebrochenheit sehnt er sich danach, ein Teil von all dem zu sein. Er sehnt sich danach, bei „den Gerechten“ zu stehen. In tiefer Reue schlägt er sich an die Brust und ruft in Reue und Hoffnung: „O Gott! Lass es für mich sein! Mach Sühne für mich, einen Sünder!“ Dort im Tempel sehnt sich dieser demütige Mann, der sich seiner eigenen Sünde und Unwürdigkeit bewusst ist, ohne dass er sich durch eigene Verdienste empfehlen könnte, danach, dass das große dramatische Sühneopfer auch ihm gelten möge.2

Und wir werden gleich sehen, dass es tatsächlich so ist. Jesus beendet die Geschichte mit: „Ich sage euch, dieser Sünder – und nicht der Pharisäer – kehrte heim als ein vor Gott Gerechtfertigter.Denn die Stolzen werden gedemütigt, die Demütigen aber werden geehrt werden. (Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.) – Lukas 18,9-14

Dieses Ende muss für die ursprünglichen Zuhörer ein Schock gewesen sein. Der Pharisäer galt als der Gerechteste und Angesehenste, da er das Gesetz nicht nur befolgte, sondern darüber hinausging. Der Zöllner hingegen galt als Sünder. Er wurde von praktisch allen gehasst und geschmäht, und das aus gutem Grund; er konnte auf keinen Fall als gerecht angesehen werden.

Doch wer, sagt Jesus, geht gerechtfertigt in sein Haus? Derjenige, der weiß, dass er ein Sünder ist, der sich demütigt, weil er weiß, dass keine noch so große Menge an guten Taten ihn retten kann, der, der in wahrer Reue zu Gott schaut und von ihm Barmherzigkeit, Vergebung und Erlösung sucht.

Wenn es um Gottes rettende Gnade geht, wird derjenige gerettet, der demütig anerkennt, dass er oder sie Gott braucht. Nicht jene mit einer überheblichen Selbsteinschätzung, die darauf vertrauen, dass ihre guten Werke und Religiosität sie retten werden. Versteh mich nicht falsch: Gute Werke zu tun, die anderen helfen, ist gut, aber diese Werke sind es nicht, die dich retten. Man verdient sich nicht einen Haufen guter Punkte, die die schlechten Punkte aufwiegen. Man kann sich die Errettung oder die Vergebung der Sünden nicht verdienen. Es ist einfach ein wunderbares Geschenk, das Gott uns macht.

Während dieses Gleichnis von der Notwendigkeit persönlicher Demut vor Gott im Gebet spricht und davor warnt, selbstgerecht über unsere eigenen Taten zu sein und mit einer verurteilenden Haltung auf andere herabzublicken, geht es in seiner wichtigsten Botschaft um Gottes Gnade. Die Botschaft ist, dass unsere Taten uns nicht retten, sondern Gottes Gnade. Gott hat einen Weg geschaffen, damit unsere Sünden vergeben werden und wir aufgrund seiner großen Liebe, Barmherzigkeit und Gnade eine richtige Beziehung zu ihm eingehen können.

Jesus sagt seinen Zuhörern, dass die Menschen durch Gottes Liebe und Gnade gerechtfertigt werden, dass unsere Sünden gesühnt sind, was der Apostel Paulus so ausdrückt: „Weil Gott so gnädig ist, hat er euch durch den Glauben gerettet. Und das ist nicht euer eigenes Verdienst; es ist ein Geschenk Gottes. Ihr werdet also nicht aufgrund eurer guten Taten gerettet, damit sich niemand etwas darauf einbilden kann.“ – Epheser 2,8-9

Während die Erlösung durch Gnade und nicht durch Werke ein Hauptpunkt dieses Gleichnisses ist, können auch andere Punkte daraus gelernt werden, wie zum Beispiel:

● Gebete oder Predigten, die sich der eigenen Leistungen rühmen oder andere wegen ihrer Unzulänglichkeiten herabsetzen, sind nicht angebracht.

● Die Art und Weise, wie Gott andere sieht, kann sich sehr von der Art und Weise unterscheiden, wie wir sie sehen, und deshalb sollten wir nicht über andere urteilen. Wir sollten uns an das erinnern: „Der HERR entscheidet nicht nach den Maßstäben der Menschen! Der Mensch urteilt nach dem, was er sieht, doch der HERR sieht ins Herz. – 1.Samuel 16,7

● Der Pharisäer glaubte, er könne Gott gehorsam sein und dennoch diejenigen verachten, die er für weniger heilig als sich selbst hielt, wie etwa den Zöllner. Für ihn war es wichtiger, religiös zu sein, als andere mit Liebe zu betrachten, während Jesus an anderer Stelle ausdrücklich darauf hinweist, dass die Liebe wichtiger ist als die Religiosität, dass die Liebe für andere gleich nach der Liebe zu Gott kommt (Matthäus 22,37-39).

Das Gleichnis zeigt, dass Gott kein Gott ist, der sich von frommen Taten und Überlegenheitsgefühlen beeindrucken lässt, sondern er ist vielmehr ein Gott der Barmherzigkeit, der auf die Nöte und aufrichtigen Gebete und die Reue der Menschen eingeht. So steht es in Jesaja 66,2: „Ich achte auf die, die gedemütigt worden sind und einen gebrochenen Geist haben und vor meinem Wort zittern.“

Selbstgerechtigkeit und Stolz, eine hohe Meinung von sich selbst zu haben und andere herabzusetzen, sind Zeichen einer Haltung, die nicht mit dem übereinstimmt, wie Gott die Menschen sieht. Ein wirksames Mittel, um ein aufgeblasenes Selbstbild zurechtzurücken, besteht darin, sich mit Gottes Größe und seiner Vollkommenheit zu vergleichen, anstatt sich mit den vermeintlichen Fehlern und Sünden anderer zu messen.

Gott ist ein Gott der Liebe und der Barmherzigkeit. Er liebt die Menschen und hat durch Jesu Opfertod unsere Rettung ermöglicht. Es ist ihm ein Herzensanliegen, alle Menschen zu retten, auch diejenigen, die in den Augen der Welt die schlimmsten Sünder zu sein scheinen, Menschen wie der Steuereintreiber in diesem Gleichnis.

Als Christen sind wir aufgerufen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um anderen zu helfen, ihn kennenzulernen, indem wir unser Leben so führen, dass wir die Liebe, das Erbarmen und das Verständnis zeigen, die unser liebevoller Erlöser jedem von uns entgegengebracht hat. Und schließlich mit anderen die wunderbare Nachricht zu teilen, dass der Weg, Gott zu erkennen, einfach darin besteht, sein kostenloses Geschenk der Erlösung durch Gnade anzunehmen.

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