Das Reich Gottes: Gegenwart und Zukunft

Juli 13, 2021

Peter Amsterdam

[The Kingdom of God: Present and Future]

Das „Reich Gottes“ war ein zentrales Thema der Lehre Jesu in den Evangelien und findet sich dort an Schlüsselstellen, wie z.B. im Vaterunser, in der Bergpredigt, beim letzten Abendmahl und in zahlreichen Gleichnissen. Während der Ausdruck „Reich Gottes“ nicht im Alten Testament zu finden ist, ist das Konzept von Gottes Reich, seinem Königtum, in zahlreichen alttestamentlichen Versen präsent, wie z. B.: „Dein Thron, o Gott, steht für immer und ewig. Das Zepter deines Reiches ist ein Zepter der Aufrichtigkeit. Denn das Reich ist des Herrn, und er herrscht über die Völker.“ 1

Im Lauf der Jahrhunderte sah das jüdische Volk Gott als einen König, sowohl in einem universellen Sinne des Herrschens über die ganze Erde als auch speziell als ihren König, mit sich selbst als Seinem Volk. 2 Gott rief das alte Volk Israel in besonderer Weise dazu auf, unter Seiner Herrschaft zu leben und Sein Königtum anzuerkennen – Seine Herrschaft und Seine Gebote. Leider lebte Israel im Allgemeinen nicht so, wie Gott es in seinen Geboten festgelegt hatte. Aus diesem Grund begannen die von Gott gesandten Propheten von der Notwendigkeit einer Erneuerung des Herzens zu sprechen:

„Ich will euch ein neues Herz geben, und einen neuen Geist will ich in euch geben. ... Und ich will meinen Geist in euch legen und euch veranlassen, in meinen Satzungen zu wandeln und auf meine Gebote zu achten.“ 3

Die Schrift sprach von einem, der kommen würde, der auf dem Thron Davids sitzen würde, der als der kommende Messias verstanden wurde:

„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter, und sein Name wird genannt werden: Wunderbarer Ratgeber, mächtiger Gott, ewiger Vater, Fürst des Friedens. Und seiner Regierung und seines Friedens wird kein Ende sein, auf dem Thron Davids und über seinem Reich, um es aufzurichten und zu bewahren mit Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ 4

Zurzeit Jesu wurde dieser Messias lange erwartet. Das allgemeine Verständnis bezüglich des Messias war mit der Hoffnung und Erwartung auf Befreiung oder Erlösung von der Fremdherrschaft verbunden, unter der die Juden nach ihrer Rückkehr aus dem babylonischen Exil gestanden hatten. Jahrhunderte lang hatten sie unter der Herrschaft der Griechen, Ptolemäer und Seleukiden gestanden. Dann, nach 100 Jahren der Selbstherrschaft, fielen sie unter die Herrschaft Roms. Sie sehnten sich nach der Zeit, in der sie nicht mehr von Fremden regiert werden würden. Sie freuten sich auf den verheißenen Messias, der sie von der Fremdherrschaft befreien und das Reich Israel – das sie als das Reich Gottes betrachteten – wiederaufrichten würde.

Es herrschte also Aufregung, als die Menschen von einem Mann hörten, der Wunder tat und vom Reich Gottes sprach. Vielleicht war die Zeit für die Befreiung der Nation Israel, die Befreiung von den Fremden und die Errichtung des physischen nationalen Königreichs, auf das sie gewartet hatten, gekommen. Die Lehre Jesu über das Reich ging jedoch über die Erwartung einer politischen oder geografischen Einheit hinaus. Stattdessen definierte er im Wesentlichen die jüdischen Erwartungen bezüglich des Königreichs neu und ersetzte sie.

Ein gegenwärtiges oder zukünftiges Reich?

Wenn Jesus über das Reich sprach, sagte Er manchmal, dass das Reich schon gekommen sei, und zu anderen Zeiten sprach Er davon, dass es erst am Ende des Zeitalters/der Welt kommen würde. Ein Autor erklärt, dass die alttestamentliche Zeitperiode die Vorbereitung für das Königreich war; Jesu Dienst, Tod und Auferstehung war die Errichtung des Königreichs; und das Endgericht wird die Vollendung sein. 5

Es folgen Verse, die davon sprechen, dass das Reich Gottes durch Jesus und Seinen Dienst in diese Welt gekommen ist.

Als Er von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes kommen würde, antwortete Er ihnen: „Das Reich Gottes kommt nicht mit Zeichen, die man beobachten könnte, und man wird auch nicht sagen: ‚Seht, hier ist es!‘ oder ‚Dort!‘, denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ 6

Jesus weist hier darauf hin, dass das Reich Gottes nicht nur etwas Physisches ist, sondern dass es gegenwärtig in ihrer Mitte ist. Während in diesen Versen davon die Rede ist, dass das Reich gegenwärtig ist, wird es in den folgenden Versen in die Zukunft verlegt:

„Nicht jeder, der zu mir sagt: ‚Herr, Herr‘, wird in das Reich der Himmel eingehen, sondern der, der den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ 7

„Dann wird der König zu denen zu seiner Rechten sagen: ‚Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an.‘“ 8

Auch andere Aussagen und Gleichnisse, die vom Reich Gottes sprechen, verlegen es in die Zukunft. 9 Ist das Reich also etwas, das zurzeit Jesu gegenwärtig war (und auch heute noch gegenwärtig ist), oder ist es nur ein zukünftiges Reich, das zur Zeit des Gerichts eintrifft?

Wenn das Reich als die dynamische Herrschaft Gottes gesehen wird, kann es sowohl als eine gegenwärtige Realität verstanden werden, die durch das Wirken Jesu eingeleitet wurde, als auch als eine zukünftige Manifestation, die vollkommen und vollständig sein wird.

Eintritt in das Reich Gottes

Die Wunder Jesu waren ein Hinweis darauf, dass das Reich Gottes gekommen war und zumindest teilweise während Seines Dienstes gegenwärtig war. Jesus vermittelte die Bedeutung des Reiches Gottes auch durch sein Handeln und Lehren. Als Johannes der Täufer seine Jünger aussandte, um Jesus zu fragen, ob er „der Eine“ sei oder ob sie nach einem anderen suchen sollten, antwortete Jesus mit den Worten: „Geht und sagt Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, Taube hören, Tote werden auferweckt, Armen wird eine gute Nachricht verkündet.“ 10

Jesus gab durch Seine Lehre Informationen über das Reich Gottes preis. Er erzählte zahlreiche Gleichnisse, die veranschaulichen, wie das Himmelreich ist oder womit es verglichen werden kann: mit einem Senfkorn; mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte; mit Sauerteig; mit einem Schatz, der in einem Acker verborgen war; mit einem Netz, das ins Meer geworfen wurde; mit einem König, der für seinen Sohn ein Hochzeitsmahl gab. 11

Sein Essen mit den Ausgestoßenen des Judentums – den Steuereintreibern und Sündern –, das Berühren der Unreinen, das Vergeben von Sünden und das Heilen am Sabbat vermittelten ein tieferes Verständnis der Gnade, Liebe, Fürsorge und Barmherzigkeit des Vaters und der Natur seines Reiches.

Dass Er die Jünger lehrte, „Vater unser im Himmel“ zu beten, brachte sie in eine neue Beziehung zu Gott und machte sie zu einem Teil Seiner Familie. 12 Das Reich Gottes zu betreten bedeutet, eine neue Beziehung zu Gott einzugehen. Indem man eine Entscheidung für das Reich Gottes trifft, wird man ein Teil davon.

Wir sehen die Notwendigkeit einer solchen Hingabe, durch den Aufruf zur Umkehr in den Evangelien: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen; tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ 13 Die Frau, die Jesu Füße mit ihren Tränen wusch und sie mit ihren Haaren trocknete, besaß eine neue Haltung der Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott, weil ihr die Sünden vergeben worden waren. 14

Wenn Gott in unserem Leben regiert, spiegelt unsere Haltung des Vertrauens und des Glaubens das wider, was in dem Gebet ausgedrückt wird, das Jesus Seine Jünger zu beten lehrte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ 15 Für diejenigen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen und durch das Opfer Seines Sohnes eine Beziehung zu Ihm eingehen, wird das Reich Gottes eine gegenwärtige Realität.

Wenn Menschen in das Reich Gottes eintreten, verlagert sich das Zentrum ihres Lebens. Sie werden regeneriert, aus dem Geist geboren. Sie beugen sich der Herrschaft Gottes und setzen ihr Vertrauen in Ihn. Wie in den Lehren Jesu in der Bergpredigt und anderswo zu sehen ist, soll man eine höhere Ethik leben: anderen vergeben, seine Feinde lieben und mehr.

Während die Lehren Jesu über das Reich Gottes einige Ähnlichkeiten mit dem hatten, was im Judentum allgemein gelehrt wurde, gingen Seine Lehren über das traditionelle Judentum hinaus, da Er dessen Bedeutung neu definierte. Er zeigte durch Sein Leben, Seinen Tod und Seine Auferstehung, dass das Reich Gottes keine zweideutige Zukunftshoffnung war; durch Jesu Kommen war es unmittelbar geworden und forderte eine sofortige Antwort.

Darüber hinaus lehrte Er, dass der Zugang zum Reich Gottes nicht auf das jüdische Volk beschränkt war, sondern dass jeder eintreten konnte. Der Fokus lag nicht auf dem physischen Israel, sondern auf all denen, die durch ihr erneuertes Herz und ihre neue Geburt zu Gottes Volk werden würden. Jesus machte deutlich, dass der Eintritt in Gottes Reich nicht auf Israel beschränkt war, als Er zu der samaritanischen Frau am Brunnen sprach und ihr sagte, dass „die Stunde kommt und ist schon da, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden, denn der Vater sucht solche Menschen, die ihn anbeten.“ 16

Die Vollendung des Reiches kommt, wenn Jesus wiederkommt, um Sein Reich auf Erden aufzurichten. „Das Reich der Welt ist das Reich unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ 17

Leben im Reich Gottes

Der Eintritt in das Reich Gottes durch den Glauben an Jesus schenkt uns ewiges Leben, aber das ewige Leben ist nicht etwas, das erst mit dem Tod beginnt. Das ewige Leben ist, wie das Reich Gottes, auch eine gegenwärtige Realität. Das ewige Leben hat für uns als Gläubige bereits begonnen. Während unser physischer Körper irgendwann sterben wird, wird unser Geist ewig mit Gott weiterleben. Unser Geist, unsere Essenz, die Person, die wir heute sind, wird einfach durch den Tod die Tür unseres gegenwärtigen irdischen Lebens verlassen und in die ewige Fortsetzung unseres Lebens treten.

In der Zwischenzeit sollen auch wir innerhalb des Reiches Gottes in der Gegenwart leben. Wie das? Indem wir auf das verzichten, was man als unser eigenes „Reich“ ansehen kann. Jedem von uns ist von Gott ein gewisses Maß an Autonomie und Autorität in Form des freien Willens gegeben worden. Als solche haben wir gewissermaßen ein „Reich“ erhalten, in dem wir freie Entscheidungen treffen können. Das ist ein Teil davon, dass wir nach dem Bild Gottes geschaffen wurden.

Wenn wir in die Herrschaft Gottes eintreten, sind wir aufgerufen, unser „Reich“ – das, worüber wir die Herrschaft haben – in Sein Reich zu integrieren. Wir sollen unseren Willen mit Gottes Willen in Einklang bringen und uns von Seinem Willen leiten lassen, einschließlich unserer inneren Gedanken und äußeren Handlungen.

In Gottes Reich zu leben bedeutet, Tag für Tag als jemand zu leben, der eine persönliche, interaktive Beziehung zu Ihm hat – eine Beziehung, die unser irdisches Leben umfasst und sich dann in der Ewigkeit fortsetzt.

 

Ursprünglich veröffentlicht im Juli 2015. Überarbeitet und neu veröffentlicht im Juli 2021.


Alle Schriftstellen wurden frei aus dem Englischen ins Deutsche übertragen, es sei denn, sie sind mit den Kürzeln der Version der verwendeten deutschen Übersetzung markiert.

 

  1. Psalm 45,6; Psalm 22,28.
  2. Psalm 103,19.
  3. Hesekiel 36,26-27.
  4. Jesaja 9,6-7.
  5. J. Rodman Williams, Renewal Theology: Systematic Theology from a Charismatic Perspective (Grand Rapids: Zondervan, 1996), 290.
  6. Lukas 17,20-21. Vgl. auch Lukas 16,16.
  7. Matthäus 7,21.
  8. Matthäus 25,34.
  9. Matthäus 8,11-12; 5,18-20; 13,24-30, 47-50.
  10. Lukas 7,22.
  11. Matthäus 13, 31, 24, 33, 44, 47; 22,2.
  12. Matthäus 6,9.
  13. Markus 1,15.
  14. Lukas 7,36-50.
  15. Matthäus 6,10.
  16. Johannes 4,23.
  17. Offenbarung 11,15.

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